Wissenschaftlerin

Seit 2009 beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von japanischer und deutscher Literatur, insbesondere mit dem traditionellen japanischen Haiku und der deutschen Kurzlyrik.

Der Anstoß kam von außen, denn mein Doktorvater hat mir für meine Promotionsprüfung vorgeschlagen, aus meiner Liebe zu Japan, meinem Sehnsuchtsland, mit dem ich mich seit 20 Jahren intensiv beschäftige, ein Prüfungsthema zu machen. So entstand der Vergleich zwischen dem Haiku und der deutschen Lyrik, der sich rasch zu einem allgemeinen Kulturvergleich zwischen den beiden Ländern ausweitete und schließlich, spätestens seit der Tsunami- und Atomkatastrophe 2011, zu einer Fokussierung auf das für viele noch fremde asiatische Land in Landeskunde, Politik, Historie und Wirtschaft führte.

Seit 2009 schlägt sich diese wissenschaftliche Beschäftigung sowohl in zahlreichen Vorträgen und Literaturkursen zu deutscher sowie moderner und traditioneller japanischer Literatur als auch in Veröffentlichungen nieder. Die Auseinandersetzung mit einer für uns immer noch fremden Kultur hilft auch, die eigene Position zu definieren und gleichzeitig zu relativieren. Ein aufregendes Unterfangen!

Meine Dissertation "Bildlose Bildlichkeit"

Die Philosophie des bildlosen Denkens und Handkes Roman "Der Bildverlust": passt das? Ja!

Gilles Deleuze, prägnanter Denker des europäischen Kulturbetriebs, stellt in "Differenz und Wiederholung" das Postulat des bildlosen Denkens auf. Das Denken darf sich nicht auf das Bild beziehen, sondern muss voraussetzungslos zu denken beginnen. Als Konsequenz muss das Bild zuende gebracht werden, um zu einem voraussetzungslosen Denken zu gelangen. Nur dann kann es seine politische Aufgabe erfüllen. Wirklichkeit erscheint sonst immer als eine medial vermittelte und wird zu einer Wahrnehmung einer bilderfüllenden Leere.

Doch das Bild sperrt sich. In Deleuzes Arbeiten zum Bild wird deutlich, dass sich das Bild durch ein hohes Maß an Elastizität und Variabilität auszeichnet und virtuelle Kräfte enthält, die es überlebensfähig machen. So versteht die Autorin Deleuzes Arbeiten zum Bild als ein Abarbeiten und letztlich als ein Scheitern am Bild, das im Moment seines Verlöschens oder Verschiebens wieder aufersteht. Im Falle des Kino-Bildes leuchtet es in seinem unaufhörlichen (Über)angebot von aktuellen und virtuellen Bildern als Reales auf. Wie soll auf diese Weise das Bild enden? Deleuze scheitert so am Anspruch des Zuendebringens, worin philosophisches und produktives Potenzial liegt: für die Weiterführung der Philosophie als Entwicklung von Begriffen, die sich aus der Wahrnehmung speisen; für den politischen Anspruch der Philosophie; für das eigene Leben als Leben in und mit Bildern und vielleicht zukünftig jenseits von ihnen.

Dieses Leben jenseits der Bilder hat Peter Handke in seinem Roman "Der Bildverlust oder durch die Sierra de Gredos" durchgespielt. Der bis dato von der Literaturwissenschaft wenig beachtete Text wird einer Deleuzianischen Lektüre unterzogen, die sich aus der Analyse des philosophischen Bild-Werkes von Deleuze speist. Dabei erscheint der Text selbst als ein großes Bild, zusammengesetzt aus abertausenden Kleinst-Bildern, die Handke mittels Schrift erschafft. Somit ist diese Analyse auch ein Nachdenken über das Verhältnis von Bild und Schrift, Bild und Sprache und Bild als Sprache. Hieraus ergeben sich für die Literatur­wis­sen­schaft weiterführende Fragestellungen, insbesondere bezüglich der Fruchtbarmachung des Werkes von Deleuze. Und eines ist tröstlich zu wissen: der Bildverlust ist nicht das Ende, sondern das Leben geht weiter – sowohl jenseits der Bilder als auch mit ihnen.